CEES NOOTEBOOM, RITUALE

Denken, was war das denn nun eigendlich genau? Er las viel, doch was er las, und nicht nur das, auch das was er sah, Filme, Gemälde, setzte er in Gefühl um, und dieses Gefühl, das sich nicht so ohne weiteres in Worten ausdrücken ließ, dieses formlose Etwas aus Empfindungen, Eindrücken, und Beobachtungen, das war seine Denkweise. Man konnte sich da mit Worten drumherumwinden, doch das Unausgedrückte behielt die Oberhand. Auch später würde ein gewisser Unmut in ihm aufkommen im Umgang mit Menschen, die klare und genaue Antworten haben wollten oder so taten, als könnten sie diese geben. Gerade das Rätselhafte an allem machte Spaß, und da sollte man doch nicht versuchen, Ordnung hineinzubringen. Tat man es dennoch, so würde unweigerlich etwas verlorengehen. Daß Geheimnisse geheimnisvoller werden können, indem man mit Präzision und Methode darüber nachdenkt wußte er noch nicht. Er fühlte sich heimisch in seinem Gefühlschaos. Und um das fein säuberlich für den Karteikasten zu verzetteln, mußte man erwachsen sein, aber dann war man plötzlich festgelegt, fertig und eigendlich schon ein bißchen tot.

Graphik: MAGNUS HUNT, 1501, Lokalisation der Gehirnfunktionen